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„Wer Mauern einreißt, kann auch Herzen öffnen“. Mit diesem Spruch wird heute – 30 Jahre nach dem Fall der Mauer – in den neuen Bundesländern an die friedliche und freiheitsbringende Revolution in der DDR erinnert, die mit dem 9. November 1989 einen Höhepunkt erreichte. In Weinheim am Mahnmal für die Opfer von Krieg, Gewalt und Vertreibung war eine symbolische Mauer aufgebaut am Samstagabend, dem 9. November 2019. Und ebenso symbolisch wurde sie eingerissen von Menschen, die an der Gedenkfeier teilnahmen, in der natürlich nicht nur an den Fall der Mauer erinnert wurde.

Denn der 9. November ist ein geschichtsträchtiger Tag in der deutschen Geschichte und eigentlich eher mit sehr traurigen und bitteren Ereignissen verbunden, wie der Reichspogromnacht 1938, in der auch in Weinheim die Synagoge zerstört wurde. „An diesem Datum bündelt sich die Geschichte“, wie Stadträtin Elisabeth Kramer vor rund 200 Menschen erklärte; sie sprach für den erkrankten Oberbürgermeister Manuel Just.

„Wehret den Anfängen jeglicher Diskriminierung“, forderte sie in der Konsequenz aus den Vorgängen, die in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts zur Herrschaft der Nationalsozialisten und der massenhaften Ermordung von Juden geführt hatte. „In jener Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brach sich der antisemitische Wahn der Nationalsozialisten seine Bahn“, erklärte Elisabeth Kramer. Überall in Deutschland brannten die Synagogen, überall wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstört und ausgeplündert. Tausende jüdischer Deutscher wurden misshandelt, in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.

Auch in Weinheim, so die Stadträtin, war die Pogromnacht für die jüdische Bevölkerung ein einziger Alptraum. Familien, die teilweise seit Jahrhunderten hier ansässig waren, Menschen, die sich nie etwas zuschulden kommen ließen, Bürger, die im politischen und kulturellen Leben der Gemeinde eine bedeutende Rolle gespielt hatten, wurden allein deshalb Opfer brutaler Verfolgung, weil sie Juden waren – weil sie einer anderen Rasse zugeordnet wurden.
Kramer: „Zurückblickend waren die Ausschreitungen des 9. November der erste Schritt auf dem Weg zum Holocaust, sie markierten den Beginn eines Zivilisationsbruchs, den viele für nicht vorstellbar gehalten hatten.“ Sie würdigte ausdrücklich das Engagement Weinheimer Bürgerinnen und Bürger, die im Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ Gesicht zeigen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Sie erinnerte auch daran, dass in Weinheim der 9.November aus einem weiteren lokalen Grund ein ganz besonderes Datum ist: Denn vor 20 Jahren wurde das Mahnmal für die Opfer von Gewalt, Krieg und Verfolgung eingeweiht, an dem seither die Gedenkfeiern am 9. November und andere Gedenkveranstaltungen einen Platz haben. Der damalige Oberbürgermeister und Ehrenbürger Uwe Kleefoot erinnerte an die Entstehung des Mahnmals als Kontrapunkt zum umstrittenen „Soldatendenkmal“ in der Bahnhofstraße und auch daran, wie „wir damals gerungen haben über die Art des Gedenkens“. Kleefoot war damals einer der Initiatoren des Mahnmals. Auch seinerzeit waren „Mauern in den Köpfen“ zu überwinden.

„Mit Trauer, mit Fassungslosigkeit und mit Scham blicken wir heute auf das zurück, was in unserem Land geschehen konnte und was der jüdischen Bevölkerung Europas im deutschen Namen angetan wurde“, erklärte Elisabeth Kramer.

Aber Gedenken umfasse nicht nur den Blick in die Vergangenheit, sondern es enthalte auch eine Verpflichtung für die Gegenwart. Mit Erschrecken und Beschämung sehe man, dass der Antisemitismus nicht mit dem Dritten Reich untergegangen ist. Sie erinnerte daran, dass es wieder mehr Fremdenfeindlichkeit in Deutschland gibt.

Und sie appellierte: „Wehret den Anfängen – es ist schon so oft gesagt worden und kann offenbar nicht oft genug betont werden. Heute ist diese Verpflichtung umso dringlicher.“

Pressemitteilung der Stadt Weinheim