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Marcel Kopito ging langsam zum Mikrofon. „Ich möchte mich bedanken, ich bin sehr gerührt und stolz auf die Menschen in Weinheim.“ So sprach es der in Weinheim lebende Bürger jüdischen Glaubens am Sonntagabend und setzte damit ein Ausrufezeichen hinter die Mahnwache, zu der das Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ vor dem Hintergrund des Synagogen-Anschlags in Halle aufgerufen hatte.

Auch die weiteren mehr als 200 Personen, die dem Aufruf gefolgt waren, zeigten bei all ihrer Betroffenheit auch die Erleichterung, dass in Weinheim Menschen auf die Straße gehen, um gegen Antisemitismus und Rassismus zu demonstrieren.

Der Theologe Albrecht Lohrbächer, Experte in Fragen des Judentums und Ehrenbürger der israelischen Partnerstadt Ramat Gan sowie der Stadtrat, Landtagsabgeordnete und Innenpolitiker Uli Sckerl griffen das Thema jeweils auf ihre Art auf.

„Für die Jüdinnen und Juden“, so Sckerl, „ist das Beinahe-Blutbad von Halle nur der schockierende Höhepunkt einer zunehmenden Bedrohung durch eine rechte Radikalisierung“. Er erinnerte daran, dass es im Jahr 2018 in Deutschland fast 1800 antisemitische Straftaten gegeben hat. Aktuell sehe man eine „sehr gefährliche Bedrohungslage“ durch Rechtsextremismus. Sckerl: „Halle ist kein Einzelfall, sondern das vorerst letzte Kettenglied in einer langen Reihe von braunen Terror.“ Er rief jeden einzelnen zur Zivilcourage auf: „Wo Juden geschmäht werden, müssen wir eingreifen und es unterbinden.“
Albrecht Lohrbächer schilderte wie Antisemitimus in die Gesellschaft sickert, sei es in Rap-Texten oder sogar auf den Schulhöfen. Die Angriffe auf Juden seien oft ein Anfang von Gewalt gegen Menschen, die als anders gesehen werden.

„Juden wollen kein Mitgefühl mehr“, erklärte Lohrbächer, „sie wollen unter uns angstfrei leben. Denn unser Mitgefühl schützt sie nicht, wenn sie heute Abend wieder in Mannheim unter dem Schutz von Maschinengewehren zu ihrem Laubhüttenfest gehen“. Daher dürfe man nicht allein den Antisemitismus der Rechtsextremen bekämpfen, das sei wichtig aber unzureichend.

Denn, so der frühere Schulkdekan, judenfeindliche Parolen seien bis in die Mitte der Gesellschaft hinein (und eben nicht nur im Rechtsextremismus) mindestens geduldet und würden immer wieder der Meinungsfreiheit zugerechnet. Er forder: „Wir müssen sie gemeinsam als verbrecherische Haltung ächten, gleich, ob sie rechts, in der Mitte der Gesellschaft, ob sie islamistisch oder links geäußert werden.“

Erschrockene Gesichter waren zu sehen, als die Sprecher des „Bunten Weinheim“ grausam mordlüsterne und blutrünstige Hassmails vorlasen, die sie bekommen hatten. Anschläge wurden angedroht, Bluttaten beschrieben. „Wir wollten zeigen, wie nah’ die Gewalt an uns dran ist“, erklärte Uli Sckerl.

Die Mahnwache wurde eingerahmt von Klezmer-Musik des jungen Klarinettisten Max Lorscheid.

Pressemitteilung der Stadt Weinheim